Wo I-solation zu Con-solation werden kann

Bericht von einem Besuch der dominikanischen Laiengemeinschaft im Gefängnis Norfolk (USA)

„Es wäre eine große Sünde, nicht hier zu sein“, mit diesem launigen Satz begrüßte P. Gerard Timoner OP, Ordensmeister der Dominikaner, die Laienfraternität in Norfolk / Massachusetts – und sorgte damit für einige Lacher. Denn der Ort des Treffens war ein ungewöhnlicher: hinter Gefängnismauern. Der Besuch des Ordensmeisters im Gefängnis fand im Rahmen seiner Visitation der östlichen Dominikanerprovinz in den USA statt. Dort, im Norfolk State Prison, dem größten staatlich geführten Gefängnis in Massachusetts, trifft sich eine dominikanische Laiengemeinschaft, die aus Laien-Dominikanerinnen und Dominikanern vor und hinter den Mauern besteht. Die dominikanische Freude, die das Treffen durchzog, hat aber alle Mauern und Grenzen vergessen lassen. Noch kein Ordensmeister seit P. Timothy Radcliffe OP hat es sich nehmen lassen, hierher zu kommen – und die Dankbarkeit dafür ist spürbar im Raum.

Dominikanisch heilig werden hinter Gefängnismauern

Am Beginn des Treffens stand eine hl. Messe, wo der Ordensmeister über innere Freiheit predigte. Diese beginne immer mit Vergebung und Versöhnung: „Vergeben heißt, einen Gefangenen freizulassen und zu erkennen, dass dieser Gefangene du selbst bist”. Dies schenke die wahre Freiheit der Kinder Gottes, die Mauern vergessen lasse und den Himmel über uns öffne. Der Ordensmeister erzählte von einem Mitbruder, der Klausur Dominikanerinnen fragte, was sie denn den ganzen Tag hinter den Mauern täten. Sie antworteten ihm, dass es eine Frage der Perspektive sei, wer vor und hinter den Mauern sei, und dass sein Gefängnis nur größer sei. Eine wirklich dominikanische Antwort – mit Humor und Weisheit. Christus aber, so der Ordensmeister, verwandle jede „i-solation“ (Einsamkeit) in „con-solation“ (Trost).

Diese Freude und dieser Trost durchzog auch das anschließende Treffen, wo die Mitglieder der Laiengruppe und Ruth Raichle, die die Gemeinschaft im Geist von Bethanien gegründet hatte, mehr von ihrer Fraternität berichteten. Einer der Gefängnisinsassen berichtete in bewegenden Worten von der Geschichte der Gemeinschaft, die viele Hürden zu überwinden hatte, bis sie als dominikanische Laiengemeinschaft anerkannt wurde. Unglaublich erschien es, im Gefängnis eine dominikanische Bruderschaft zu gründen. Ein Höhepunkt der Gemeinschaft war zweifellos, als im Gefängnis komponierte und aufgenommene Lieder bei der Seligsprechung von Pater Jean Joseph Lataste, dem Gründer der Bethaniengemeinschaft, erklangen. Auch sind sie immer noch im Gebet mit bereits verstorbenen Mitgliedern der Gemeinschaft verbunden. Beeindruckend war, dass die Mitglieder hinter Gefängnismauern offenbar tief zu Gott und zu sich gefunden haben.

Den Gottesdienst und die Begegnung prägte eine brüderliche und geistvolle Atmosphäre, die einen stolz und dankbar sein ließ, diese Laiendominikaner, die schon Jahrzehnte hinter Gittern leben, seine Brüder nennen zu dürfen; aber auch die Laiendominikanerinnen und -dominikaner von außen, die mit ihnen selbstverständlich eine Gemeinschaft bilden, die Gefängnismauern als etwas nur Äußerliches erscheinen lassen. Im Altarbereich der Kapelle steht mit Kreide geschrieben „Johannes 3,16“ – als so etwas wie ein Hoffnungsanker für die Menschen hier: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.“ Was diese Erfahrung der göttlichen Liebe bewirkt, konnte man unmittelbar erleben – als eine intensive spirituelle Erfahrung.

Der Dominikanerbruder, der die Gemeinschaft immer wieder besucht, ermutigte uns dann auch, Gebetsanliegen bei der Gemeinschaft im Gefängnis zu lassen, weil ihr Gebet sehr stark sei. So entfaltet sich die apostolische Mission der Gruppe nicht nur hinter Gefängnismauern, sondern weit darüber hinaus. Ruth Raichle sagte, die Männer seien in vielerlei Hinsicht den Ordensleuten in Klöstern sehr ähnlich. Durch ihre Gebete retten sie Seelen, und durch ihr Zeugnis ermutigen sie andere im Gefängnis, Christus zu suchen, sagte sie. „Ich nenne sie immer die wahren Missionare, weil sie andere Männer zur Kirche bringen“, sagte sie. Am Anfang, so berichtet einer, sah er keine Hoffnung für die Zukunft – „gelähmt von meiner Vergangenheit, den Entscheidungen, die ich getroffen habe; …gelähmt von der Scham und der Reue“, aber jetzt „glaubt er, dass es seine Aufgabe ist, den Rest seines Lebens damit zu verbringen, anderen zu helfen.“

So fanden wir einen beeindruckenden Ort dominikanischen Lebens an einem ungewöhnlichen Ort, und mir kam der Satz in den Sinn, den Jakob nach seinem Traum von der Himmelsleiter auf hartem Boden gesprochen hat: „Wirklich, der Herr ist an diesem Ort, und ich wusste es nicht.“ (Gen 28,16)

Pater Thomas G. Brogl OP, Socius des Ordensmeisters für Europa.